"I'll meet you by the river, or maybе on the other side..." - Ein kleines bisschen Geo-Caching mit "Memento Mori"

Es ist immer noch ein bisschen verzwickt. Vor gut einem Jahr hab ich meine Meinung zu "Memento Mori" HIER reingepinselt und mir vorgenommen, dieses Album nochmal mit etwas Abstand zu genießen. Liegenlassen, reifen lassen war die Devise. Das heiß ersehnte Werk nach schier endlosen sechs Jahren war mir letzthin etwas zu medioker geraten.

Nun hört man ein Depeche Mode Album im Normalfall nicht einfach mal so nebenbei. Selbst wenn man dieses Album nicht regelmäßig als Ganzes hört, beschert uns die Veröffentlichungspraxis der Band in den letzten sechzehn Monaten zahlreiche kleckerweise Exzerpte. Dazu bot der Langspieler noch ganz viel Zeitvertreib mehr. Vielleicht nicht unbedingt nur Musik, eher etwas mehr Drumherum.

So gab es seit dem Albumrelease etliche Mixe, Singles, dazu Remixe ohne je selbst eine Single zu sein und eine Handvoll frische Videos. Die unumstürzliche Krönung war erwartungsgemäß die famose Live-Tournee, die wir erneut in vollen Zügen genießen konnten und von der wir noch in Jahrzehnten schwärmen werden.

Dank üppiger Ausstattung beider Protagonisten mit Studiotechnik, ist "Memento Mori" fast komplett in Heimarbeit entstanden. Martin im Electric Ladyboy Studio, Dave in seinem Blanco Studio, dazu noch ein kurzer Abstecher in Martins Nachbarschaft zu Produzentenlegende Rick Rubin auf die Shangri-La Ranch, am Ende noch zahlreiche Bandschleifenvorfälle bei Marta Salogni in London.

Neben vier verschiedenfarbigen Vinyl-Versionen der klassischen Langspielplatte, kommen wir bei dieser Scheibe auf zwei verschiedene CDs und die Rückkehr der Musikkassette. Mit weiteren fünf nüchtern weiß bekleideten Maxi-Singles, und sieben geremixten Stücke des Albums sogar auf einen neuen Rekord. Bei insgesamt zwölf Albumtracks konkurriert das schon mit Michael Jackson oder Madonna, die es fast immer schafften, ein nahezu komplettes Album in die Single-Charts zu hieven. 

Die fünf schlicht designten Vinyl-Maxis wurden erst spät nachgeschoben, der Rest wird äusserst zeitgemäß im Streaming und auf den gängigen Videoplattformen abgearbeitet. Es verdeutlicht die strenge Effizienz der Band, aus möglichst wenig Aufwand, möglicht viel Mehrwert zu generieren. Eine Praxis, die sich in den letzten Jahren bei so ziemlich allen Künstlern mehr und mehr durchgesetzt hat, wenn deine Fans deine Platten nicht mehr kaufen. In so fern ist auch die Frage nach einem Live-Album eher eine rhetorische. Aufgezeichnet wurde jedenfalls.

Das Cover der "Memento Mori" geriet stimmungsvoll, aber ungewöhnlich amerikanisch. Werden diese üppigen floralen Grabkissen doch eher im angloamerikanischen Raum für Bestattungen verwendet. Auf der Suche nach dem Depeche Mode typischen Kinky-Spot, wurde ich dieses Mal genau auf diesem Cover fündig. Wem fällt diese delikate Anspielung eigentlich noch auf?

"Memento Mori" breitete zwölf stattliche neue Songs vor uns aus, plus eine klassisch orchestrierte Coverversion aus der BBC-Acoustic-Session. Martin arbeitete erstmals mit mehreren Co-Autoren. Dave schreibt sowieso immer mit anderen, und auch hier ein erneutes Mal mit Martin. Neu in diesem illustren Reigen ist Richard Butler von den 80er-Jahre-Hitgranaten "The Psychedelic Furs". Nur ganze fünf Songs stammen aus der originären Feder Mr. M.L.Gores. 

Seit fast 20 Jahren kommen die obligatorischen Vercoolungs-Sessions dazu. Einst als Bare-Versionen, später live im Studio eingespielt, zuletzt als "Highline-Session" betitelt. Dieses Mal nennt man den Spaß nach dem "Vinegar Hill Studio", und Marta Salognis Bandmaschinen liefen sich dabei einen Wolf, wenn auch verwirrend entgegengesetzt. Diese Session brachte mich dann zumindest dem schlageresken "Ghosts Again" näher, aber auch der Rest gewinnt durch diese Art der Präsentation.

Immer mehr Menschen entdecken Depeche Mode als sensationelle Liveband. Egal ob sie sie als progressive Rockband sehen, oder als ewiger Nostalgietransformator ihrer längst verflossenen Jugend. Depeche Mode ziehen mittlerweile Leute an, die uns vor 35 Jahren auf der Disko dafür noch Kloppe angeboten haben. Die Konzertarenen werden immer größer, der Ausverkauf auch. Trotzdem wird die letzte Tour mit erneut mehr als zehn von uns besuchten Konzerten und vielen/vielen neuen Eindrücken, immer in unseren Herzen sein. 

Bei insgesamt 112 Konzerten kredenzten sie uns auf der "Memento Mori World Tour" ganze 36 verschiedene Songs, ohne das wir Daves unsägliche "Happy Birthday"-Jukebox mitzählen müssten. Bis auf "Dressed In Black", "But Not Tonight" und "Shake The Disease" haben wir auch alle live sehen können, was aber in so weit zu verschmerzen ist, da uns Martin die Dinger schon auf den letzten Touren um die Ohren gehauen hat.

Konsequent und thematisch passend zum Thema "Mori" gerieten die Videos wieder schwarz/weiß, und in nur zwei der fünf Filme sind die Jungs selbst zu sehen. Der Rest ist inhaltlich stark und mindestens ebenso starbesetzt. Die Filme waren für Viele höchstens etwas schwer verständlich, wenn man den Sozialen Medien Glauben schenken möchte. Thematisch sind sie stark von den Texten der Songs inspiriert. 

Drei der Videos wurden von Band-Spezi und Intimus Anton Corbijn in Szene gesetzt. Über das kunterbunte Inszenieren nicht mehr ganz faltenfreier Männergesichter sind wir glücklicherweise drüber weg, auch über die übertriebene Coolness der frühen 90er, die sich aber wohl viele zurückwünschen würden.

Wir konnten wieder nicht widerstehen und haben uns erneut auf die Spuren all der Bildchen und Filmchen begeben. Die kriminaltechnische Forschungsarbeit in Netz und Maps und Welt nach Plätzen von Videos und Fotosessions, ist uns quasi in Fleisch und Blut übergegangen, fast schon nerdig, eine Sucht!

Alles begann im Februar 2023 mit einem ominösen Gemälde in Los Angeles. In der 8. Straße Ost im Stadtteil South Park, prangten zwei riesige Flügel an einer Hauswand. Leider taugt dies heutzutage nur noch für den Erinnerungswert.

"Ghosts Again"

Nach dem beeidruckenden Wandbild ereilte uns endlich das sehnsuchtvoll erwartete und per Doppel-Countdown eingezählte "Ghosts Again" mitsamt dem "klischeehaften Gruftivideo" (Zitat!). 

Der Platz des Schachspiels auf dem New Yorker Dach war recht leicht zu finden, da das goldfarbene Keramikdach des "New York Life Building" im Hintergrund relativ gut auszumachen ist. Zur räumlichen Einordnung half auch das "30 Hudson Yards", das Gebäude mit dem schräg zulaufenden Dach, einmal kurz hinter Martin zu sehen. Unter der Dachterasse, auf der die Jungs Schach spielen, befindet sich das Canoe Fotostudio. Wir vermuten, dass dort die Innenaufnahmen entstanden sind.

Parallel zu "Ghosts Again" gab es allerlei frische Promo-Bilder, auf denen die Herren mit einem totenköpfigen Spazierstock durch die Stadt flanieren. 

Auf unserem Locations-Foto schleppt Martin den Stenz durch die "Broad Street", und im Hintergrund ist die New Yorker Aktienbörse an der Wall Street gut zu erkennen. 

Das "Memento Mori" Booklet

Als wir Ende März letzten Jahres das Album in der Hand hielten, fiel uns sofort die herzzerreißende Andy-Hommage mit dem dritten Schatten auf dem Dach auf. 

Zunächst von uns auch in New York vermutet, führten uns die Jungs hier aber auf das Dach des Concrete Studios mit Blick hinüber nach Downtown Los Angeles. Ganz in der Nähe sind auch die Videos zu "I Feel Loved" und "Wrong" entstanden.

Zurück nach New York reisen wir erst wieder mit den Bildern unter der Hochbahn. Endlose Stunden auf GoogleEarth und StreetView führten uns letztendlich zur Palmetto Street in Ridgewood auf Long Island. 

Auffällig bei dieser Session ist, dass Dave nach 30 Jahren nochmal sein Devotional-Jacket mit der Rückentattoo-Nachbildung überwirft. Hier die damalige MTV-Story mit Modeschöpferin Karen Dusenberry:

Die "lange Insel" selbst, ist bei Depeche Mode nicht sonderlich beliebt für Foto- und Videoaufnahmen. Auf Long Island entstanden nur noch ein paar Augenposen für "World In My Eyes" und ein paar Tourbuchaufnahmen für "Playing The Angel". 

Am südlichen Ende der Insel findet ihr noch die Disko, in der 1988 die Bus-Kids für die filmische Tourdokumentation "101" ausgelost wurden, dazu hat Dave dort sein Sommerhaus. Das gibts aber bei uns nicht öffentlich!

Ein New Yorker Rätsel konnten wir erst sehr spät lösen. Der Entstehungsort des Fotos mit dem Leichenwagen vor der doch relativ markanten Sichtbetonwand, war mit größter Anstregung nur äußerst schwer zu finden. Am Ende gelang es uns doch, es handelt sich dabei um das große New Yorker Salzlager in der Spring Street.

Der Wagen gehört der New Yorker Rocker-Bar "Duff's", die ebenfalls im Stadtteil Williamsburgh auf Long Island beheimatet ist. Das schwarze Transportgefährt basiert auf einem Cadillac Brougham, und der findet bald Einzug in unser neues #dasdepechemodeautoquartett.

"Wagging Tongue"

Im Video zu "Wagging Tongue" begegnet uns dann eine skurrile Geschichte von gesellschaftlich-kommunikativen Verwerfungen und Unsagbarkeiten. Die scharfe Wahrheit erfährt man nur "unter der Oberfläche". 

Mit dem Schauspieler Jacob James Beswick, der u.a. aus "Andor", dem Kriegsfilm "1917" und der Telekom-Werbung bekannt ist, wurde am Studena Stausee, vor den Toren der bulgarischen Hauptstadt Sofia gedreht.

"My Favourite Stranger"

Leichter zu finden war die Location von "My Favourite Stranger". Ein ebenso verstörender Film über versteckte Identitäten in der Öffentlichkeit. Im Film ist wirklich nur für einen Sekundenbruchteil eine "Sint Jacobstraat" zu erkennen.

Leider gibt es Straßen mit dem Heiligen Jakob im Namen in Holland wie Sand am Meer. 

Wir kamen recht zügig auf Alkmaar. Insbesondere die auffällige Kirche half uns bei der Lokalisierung. 

Die Person läuft auf der "Kanisstraat" auf Kirche und Hausgiebel zu. Vor dem Abbiegen in die "Sint Jacobstraat" begeht sie den "Fnidsen".

"Before We Drown"

 
Nur den Fuß kurz vor die Tür setzte Anton auch bei "Before We Drown". Nach stunden-, wenn nicht tagelangem akribischen Absuchen der Nordseeküste von Texel bis Calais, fanden wir ihn, den markanten Hotelkomplex "Het Hoge Duin", der sehr auffällig aus den Dünen nahe Wijk aan Zee herausragt. 

Eine Erklärung für den seltsam veränderten Schnitt der Konzertversion gegenüber der Videoversion dieses Filmchens, konnten wir indes noch nicht finden.

"People Are Good" 

Ein paar dezente Hinweise zum potenziellen Aufnahmeort von "People Are Good", gibt uns das Video im recht "üppigen" Abspann. Hier erfahren wir, dass Director Richard Hall und das Produktionsteam "RiffRaff" in London ansässig sind, und laut eigener Website dort für etliche kreative und gelungene Werbefilmchen verantwortlich zeichnen.

Neben dem relativ leicht zu findenden "Stockton House", half uns das nur ganz kurz zu sehende Flugzeug, aus der Szene, mit der gut gekleidete Dame. Sie verbuddelt ihr mutmaßliches Haustier auf dem für größere OpenAir-Konzerte in London genutzte "Silverworks Island", nahe dem Flughafen "London City". 

Wenn man ganz genau hinschaut, meint man, in weiter Ferne sogar noch die Krane aus dem "Shake The Disease"-Video zu erkennen. Dort hat sich viel getan, in den letzten 40 Jahren.
 
 
Was lernen wir nun daraus? 

Auch wenn man sich nicht ausschließlich mit der Musik der Jungs aus Basildon beschäftigt, kann man recht unterhaltsame Stunden mit deren Peripherie verbringen. Texte, Filme, Bilder, Inhalte, Messages - Depeche Mode bleibt eine Philosophie, so man will.

Mittlerweile konnte ich über die Hälfte des Albums in seiner Live-Präsentation genießen. Ich hatte das Glück, alle sieben live gespielten Songs von "Memento Mori" auch tasächlich sehen zu können. Sowas wirkt natürlich auch auf die Albumwahrnehmung. Live ist es halt eine andere Hausnummer.

Für den großen kommerziellen Erfolg der Platte, ist sie teilweise ganz schön schräg. Das macht sie mir im Grundsatz sehr sympathisch. Hier muss ich der Musikpresse immer noch ein wenig widersprechen. Sie ist zwar stark, aber nicht bärenstark. 

Und doch lege ich sie mir hin und wieder auf. "Memento Mori" fordert mich bei jedem Hören erneut heraus - und das ist gut so!

(stx)
Bilder/Videos: unbekannt, H.Wiedemann/A.Corbijn, Montagen aus Videoclips/YouTube, GoogleEarth/GoogleStreetView
 
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