"You Hear Stories Of Old...", Teil 1 – Die Coverband "Depeche Dope"

Wir glaubten, unser großer Traum, Depeche Mode je live erleben zu können, war nach den ganzen Presse- und Fernsehveröffentlichungen im Anschluss an das Ost-Berliner Konzert im März 1988 wohl geplatzt. Nicht, weil wir nie eine reelle Chance gehabt hätten, überhaupt an Karten zu kommen, sondern weil keiner wusste, ob und wann es je wieder ein Konzert von Depeche Mode in der DDR geben würde.

Dann begegneten uns eines Tages "Lotos". Sie waren die erste Depeche Mode Coverband, die uns über den Weg lief, und die schon vor der Wende in der Lage war, Depeche Modes Songs live und täuschend echt nachzuspielen, und uns damit so sehr zum Tanzen anzuregen, dass wir ihnen sogar zeitweilig hinterherreisten, wann immer sie in erreichbarer Nähe auftraten. 

Durch die Wende hatte sich dies aber dann relativ schnell erledigt, und "Lotos" verschwanden erstmal wieder in der Versenkung. Danach gab es jahrelang ausreichend Depeche Mode Parties mit allerlei Konservenmusik, bis dann ab Anfang/Mitte der 10er Jahre ein regelrechter Hype an Coverbands über uns hereinbrach. „Strangelove“, „ReMode“ oder "The Exciter's" nennen sie sich, selbst „Lotos“ tauchte kurzzeitig wieder auf. 

Am bekanntesten sind bis heute sicherlich die sehr guten „Forced To Mode“, oder auch die sehr speziellen „Milwaukee Mode“, deren Sänger Perry Coloroso leider letztes Jahr verstorben sein soll. "Milwaukee Mode" waren außerdem so außergewöhnlich und originell, dass wir sie sehr wahrscheinlich in unserer kleinen Serie auch nochmal ausführlich würdigen werden. 

Eine Band, die irgendwie zwischendrin existierte und daher gern in diesen Aufzählungen vergessen wird, ist „Depeche Dope“. 

Nicht nur dem Namen nach, versuchten "Depeche Dope" die anregende Musik Depeche Modes mit der Wirkung spezifisch stimulierender Substanzen zu kombinieren. 

So entstammten sie der Musikerszene Erfurts, und kurioserweise fanden ihre musikalische Sozialisation und Entwicklung fast komplett in Rock und Metal statt. Was zunächst etwas ungewöhnlich wirkt für eine Depeche Mode Coverband, ist, verglichen mit Martins kompositorischem Stil, gar nicht so ein krasser Widerspruch.


Wie wir vor wenigen Wochen dann mit "Libra" und seiner exzellenten All-Star-Version von "It Doesn't Matter Two" erleben durften, ist es wohl nicht mal ein Einzelfall. Was uns nun, mehr als 30 Jahre später, wenigstens ein Bisschen zum moralischen Sieger macht, wenn wir früher für unser Depeche Mode Fansein von den "Mettlern" (von uns meist liebevoll "Angora-Skins" genannt) auf der Dorfdisco immer die Hucke voll bekommen haben. Sei's drum!

"Depeche Dope"-Sänger Bernd „Taxman“ Tepper spielte und spielt bis heute in einer gleichnamigen Beatles-Coverband, sowie bei seiner aktuellen Band "Nifty Plymouth". Von seiner Instagramseite (@niftyplymouth) stammen im Übrigen auch die hier verwendeten Fotos.

Gitarrist "Flatsch" war bereits zu DDR-Zeiten in der Metalband „Prinzz“, später umbenannt in „Blitzz“ aktiv, die sogar ein oder zwei Radiohits bei "DT64" hatte. Der Radiosender, auf den die Band wohl sogar selbst sehr gestanden haben soll! 😉 Passenderweise nannte er sich bei "Prinzz" bzw. "Blitzz" auch "Flatzz". 

Nach der Wende begann „Flatsch“, der eigentlich Jens Hellmann heißt, eine beachtliche Solokarriere als „Vicki Vomit“, der damals auf der Höhe seines Ruhmes in der VIVA-Sendung "Vivasion", von Stefan Raab gefragt nach seinem außergewöhnlichen Künstlernamen, schlagfertig antwortete: „Ich hätte mich auch Peter Piss nennen können“.

Der eine oder andere audiophile Ästhet erinnert sich sicher noch an seinen großen Hit „Arbeitslos und Spaß dabei“, den Rechtsstreit mit unserer damaligen Familienministerin Nolte oder den legendären Auftritt beim allerersten „Woodstage Summer Open Air“, damals noch in der Waldbühne Augustusburg, mit seiner Begleitband, den „Sisters Of Jelzin“. Später durfte er dann sogar bei „Rock am Ring“ und zahlreichen weiteren Festivals auftreten.

Der Schlagzeuger der „Sisters Of Jelzin“, Kai Pfützenreuter, hatte einige Jahre füher, nämlich genau zur Wende, einen passablen DDR-weiten Hit mit seiner Band „Naiv“ und einer Punk-Coverversion vom damals agitatorisch extrem vereinnahmten „Sag mir wo du stehst“. 


Philipp Hess spielte bei den „Sisters“ die Bassgitarre. Zum Teil folgten die beiden Vicki Vomit dann auch in weitere Bands, wie „Die Creutzfeld-Jakob-Sisters“ oder „Die Mutschekübchen Of Death“. 

Parallel zu den zahlreichen Variationen der Begleitband Vicki Vomits, gründeten sie 1999 „Depeche Dope“. 

Ziel von "Depeche Dope" war es, Depeche Modes Songs ohne Zuhilfenahme von jeglichen Keyboard-Arrangements nur als düstere Gitarrenmusik zu spielen, was einen gleichfalls experimentellen wie extrem herausfordernden Ansatz darstellt. 

Die in der Regel recht komplexen Arrangements auf diese Weise umsetzen zu wollen, einfach nur mit Gitarre und einigen dazugehörigen Effektgeräten, vor dieser Aufgabe wären wohl auch multimillionendollarschwere Effektgeräte-Nerds wie "The Edge" von U2 kapituliert. Nicht aber die berauschten Gitarrenhexer vom Nordrand des Thüringer Waldes!

Auf den hier verlinkten YouTube-Videos könnt ihr euch selbst ein Bild machen, wie gut dies damals gelungen ist. Leider existieren zu diesen Aufnahmen nur einige Fotos von „Depeche Dope“ und auf offiziellen Portalen gibt es keinerlei Livemitschnitte. Allerdings sind die Fotokollektionen, mit denen die Songs unterlegt sind, sehr aufschlussreich.


Diese wenigen Lieder wurden im Jahr 2000 zusammen mit insgesamt 14 Coverversionen auf einer selbst vertriebenen CD vermarktet. Die CD verfügt wiederum über ein sehr interessantes, stilsicheres und richtungsweisendes Coverartwork (siehe das Foto oben). Leider ist sie nicht mal mehr über Discogs erhältlich.

Vermutlich war aber diese einzigartige, handwerklich versierte Band für eine große Coverbandkarriere, wie sie "Forced To Mode" gerade erleben, zur falschen Zeit am falschen Ort. Es interessierte sich Ende der 90er leider kaum noch jemand für Coverbands. Schließlich durften wir seit wenigen Jahren ja endlich und relativ regelmäßig die Originale genießen. Ein Umstand, der damals übrigens bei weitem nicht nur auf Depeche Mode Coverbands zutraf. 

 
 

Mit den richtigen Partypeople im kleinen Club, wäre ein derartiges Liveerlebnis sicher ein akustischer, olfaktorischer und neurorezeptioneller Hochgenuss geworden, aber „Depeche Dope“ haben sich damals seltsamerweise nicht bis Chemnitz herumgesprochen. Welch ein Frevel! 

Ihr letztes Konzert fand dann genau heute vor 20 Jahren, am 19. Mai 2001 statt. Wo dies stattfand, ist uns leider auch nicht überliefert. Die Live-Fotos jedenfalls scheinen ausnahmslos im Museumskeller Erfurt gemacht worden zu sein.


Nicht verwechseln sollte man "Depeche Dope" auch mit der amerikanischen Metal-Crossover-Combo "Dope", die einst mit einer Coverversion von "People Are People" im Jahre 2005 einen kurzzeitigen Charterfolg verbuchen konnten.

 

Zumindest aber einigen Wenigen von uns ist es gelungen, "Vicki Vomit" so gut wie mit jeder Tour live zu sehen. Darunter besagtes „Woodstage“-Konzert, die legendäre „Blümchen“-Show mit „Die Kraft der 2 Herzen“, das exklusive Geburtstagskonzert 2004 im Geraer „Komma“ mit den „Misanthropischen Jazz-Schatullen“, oder letztes Jahr noch fix zwischen den Corona-Schließungen auf seiner akustischen Solo-Abschiedstournee „Abschied ist ein schweres Schaf“. Depeche Mode hat er dabei leider nie gespielt.

 

Da man ja aber nie „nie“ sagen soll, beglückt er uns nach seinem Abschied als „Vicki Vomit“ vielleicht doch noch mit einer Neuauflage von „Depeche Dope“? Die Zeit nach Corona wäre wahrscheinlich wie geschaffen dafür …

(stx)

Kommentare

  1. Wow, echt cool recherchiert! RESPEKT🐈‍⬛🎶
    Das letzte Depeche Dope Konzert gab's in Eisenach. Visuelle Live-Mitschnitte gibt's aus dieser Zeit leider nicht... Die ersten Smartphones beschränkten sich noch auf SMS. Soweit ich weiß, wurde auch nichts gefilmt. Die Fotos sind nicht nur vom Museumskeller, Erfurt. Tatsächlich sind wir überregional unterwegs gewesen, ob Chemnitz dabei war, müsste recherchiert werden.
    Aber ein wirklich nettes musikalisches Zeitdokument; der Album Download lässt sich inzwischen auf der Nifty Plymouth Website finden.
    Die Bandkollegen stehen noch im Kontakt..., wenn Chemnitz zur After Corona Party lädt...man kann ja schließlich nie wissen. Viele Insider Grüße
    🎙️😎 B Nifty

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Vielen Dank für Deinen Kommentar. Er erscheint, wenn dieser durch unsere Moderatoren geprüft wurde.

Beliebte Posts