"Black Day", der Erste. Ruhe in Frieden, Andy!

Ein etwas kühler aber relativ sonniger Himmelfahrtsabend ist der 26. Mai 2022. Der Grill ist noch heiß, die Wurst längst verspeist, ein paar süffige Biere und selbst gemachter Knoblauchschnaps zum Abrunden dazu. Die Depeche Mode Fans von "Hopes And Fears" sind beim geselligen Feiern. 

Mittendrin piepst das Handy, die Nachricht eines Freundes geht ein: "Fletch is gestorben 😳 stimmt das?", wohl in der Hoffnung, wir wüssten sicher, dass es nicht so ist. Wir erschraken und wussten es natürlich auch nicht. 

Schnell wurde Facebook geöffnet, gesucht, gelesen. Die Todesnachricht wurde zuerst bei ein paar wenigen Leuten angezeigt, und da schon immer genug Fake-Tote in die Sozialen Medien gepinselt wurden, immer noch im Hinterkopf der Gedanke "Ach Quatsch, Andy ist doch erst 60, hat sich an Ostern den Arm gebrochen, der arme Hund, aber tot? Bestimmt ein Fake". 

Auf der Suche nach Gewissheit scrollt man weiter und weiter, noch eine Todesmeldung und noch eine, dann plötzlich der in schwarz gehaltene Nachruf auf der offiziellen Bandseite. Herzklopfen! Lesen. Nochmal lesen. Was? Ist das auch die offizielle Seite? Ist die Seite vielleicht gehackt worden? Ich sag wohl trotzdem lieber erst mal den Anderen, was hier so steht ... 

 
"Leute, Andy ist tot. Es scheint wahr zu sein, denn es steht auf der offiziellen Seite der Band." 

Ebensolche Fassungslosigkeit, wie ich sie gerade beim Lesen erlebte, macht die Runde. Beim Wurstgrillen hatten wir uns noch über die schönen Zeiten unterhalten, die wir mit der Band erlebt haben. Haben darüber gesprochen, dass wir zwar nicht annehmen, dass es vorbei sei, das die Zeichen aber bereits spätestens in der Waldbühne 2018 darauf standen, wegen Daves emotionalem Kniefall und der geänderten Abschiedsformel "We'll see you all some other time". Aber so eine Nachricht?

Wir sprachen eben noch über mögliche aktuelle Pläne der Band und holten unsere langjährige Annahme wieder hervor, wonach Depeche Mode nun wohl doch mal wieder bei "Rock Am Ring" auftreten und damit ihr Comeback feiern könnten. 

Wir versicherten uns auch, dass wir nicht traurig sein müssten, wenn es doch irgendwie zu Ende wäre, denn wir hatten mit den Jungs die geilste Zeit und die besten Konzerte unseres Lebens verbracht. Obwohl wir durch die Wende erst recht spät damit anfangen durften, sind es in den 30 Jahren nun doch schon über 50 Stück geworden. Dabei unvergessen auch die stundenlange Warterei vorm Waldorf-Astoria für ein mickriges Foto. Nichts könnte dies noch toppen! 

Doch dann traf uns die Nachricht wie einen Schlag...

Andy war der Mann, der da immer irgendwie mit dabei war. Er gehörte dazu. Immer im Hintergrund, immer Bescheiden, immer er selbst und das auch noch als millionenschwerer Rockstar. Über 30 Jahre verheiratet mit der Frau aus seinen Jugendtagen, ja auch aus den Anfangsjahren der Band. Lausbubenhaft war der "Herumlungerer", wie er sich selbst einst in "101" bezeichnete, eisenharter Fußballfan und wahrscheinlich früher auch ein recht trinkfester Stammgast in den Pubs in und um Basildon. Aus seiner Beziehung zu seinem Lieblingsfußballverein machten wir erst dieses Jahr einen augenzwinkernden Aprilscherz in unserer Facebook-Gruppe, seine Frau Grainne teilte zu der Zeit auf Instagram ein Bild, vor ihm zahlreiche Gläser Guinness. Im Konzert war er stets ausgelassen klatschend und tanzend und gut gelaunt.

Beruhigend ist es, in den Sozialen Medien wirklich nur Lob und Trauer über ihn zu lesen. Keiner schüttet Häme oder Hass über ihn aus, wie es bisher oft und gerne von der wegen-ihm-musste-Alan-gehen-Fraktion stattgefunden hat. Keiner macht sich lustig über sein vermeintlich nicht sonderlich ausgeprägtes Talent, Keyboard zu spielen. Das kann man, oberflächlich betrachtet, so sehen. Wer sich etwas mehr mit der Band beschäftigt, als hin und wieder die "Best Of" aufzulegen, oder vielleicht auch mal die eine oder andere Biografie in der Hand hatte, sollte seine Meinung dazu bereits sowieso schon geändert haben. 

Andy spielte, Andy managte, Andy moderierte und war dabei zwar klaglos, aber vielleicht nicht immer unparteiisch. Er verfolgte keine Solokarriere, war zufrieden, wenn er mit der Band spielen konnte und dabei eine gute Zeit hatte, und er wurde oft und gern vom Rest der Band als Interviewpartner losgeschickt.  

Nun ist das eingetreten, womit wirklich keiner gerechnet hat. Dass dieser Moment irgendwann mal kommt, war uns allen klar. Dass er jetzt schon kommt, das hat keiner erwartet. Dass er so plötzlich kommt, erst recht nicht. 

Dass Dave vielleicht als erster gehen würde, das konnte man annehmen: Drogen, klinisch tot, Krebs. Die Chancen dafür standen recht gut. Das Martin als erster geht? Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Eine solide Trinkerkarriere, zahlreiche Frauengeschichten, viele Kinder, Tod durch Stress oder wer weiß was? Von Andy hätten wir es wohl am wenigsten erwartet. Familiär solide, ausgeglichen, das Eigenheim im Nobelstadtteil Maida Vale, das Elektro-Auto vor der Tür, Frau mit Hündchen.

Ob Dave und Martin ohne ihn weiter machen werden? Das wage ich mir nicht, vorherzusagen. Andy war der Kitt zwischen den Beiden, der Klebstoff, der alles irgendwie zusammenhielt, das Rückgrat. 

Er war quasi der Gründervater der Band, weil er sowohl bei No Romance in China, als auch bei Composition Of Sound schon dabei war. 

Unsere Herzen sind bei seiner Familie, seiner Frau Grainne, den Kindern Megan und Joseph, und natürlich den Jungs von der Band. Ihre Bestürztheit und Trauer war in ihrem Nachruf sehr deutlich zu lesen. Und wir sind natürlich auch noch alle reichlich geschockt. 

Geschockt über den Tod eines Mannes, den wir nicht mal persönlich kannten, obwohl es sich immer so anfühlte. Wir empfinden Trauer für einen Menschen, mit dem wir nie ein Wort gewechselt haben. Nicht mal, als er bei Martins Solokonzert in Mailand direkt bei uns stand, und auch nicht, als wir stundenlang vor seinem Hotel warteten und es uns nicht mehr als ein hübsches Foto von ihm einbrachte. Trotzdem war er immer da für uns.

Depeche Mode haben unser Leben seit unseren Teenagertagen begleitet, wir haben unser Leben mit ihren Songs untermalt, unsere Lebenphilosophie an ihren Texten augerichtet. Sie haben uns gelenkt. Jeder von uns kann auf sein bisheriges Leben anhand von Depeche Modes Songs, Platten oder Konzerten zeitlich präzise zurückblicken. Ihre Songs waren Mutmacher und Trostspender und halfen uns, uns in der Welt zurecht zu finden, gerade auch, als der eiserne Vorhang fiel, und wir alle vom Kopf auf die Füße gestellt wurden. 

Depeche Mode haben uns in all den Jahren mit vielen lieben Menschen zusammen gebracht und uns mit diesen Menschen zu meist langjährigen Freundschaften zusammengeschweißt. Ohne Depeche Mode hätte es an diesem traurigen Abend keine Wurst, kein Bier und auch keinen Knoblauchschnaps für uns gegeben. 

Sie haben uns viel viel mehr gelernt über "die Welt in der wir leben und das Leben im Allgemeinen" als wir je hätten von unseren Eltern erfahren können.

Für das alles gebührt ihnen, und besonders Andy, unser ganzer Dank.

Seine Musik und sein Vermächtnis werden uns durch diese schweren Stunden begleiten, und sie werden auch danach noch für uns da sein. Für immer!

Gute Reise, Andy! Rocke in Frieden.

(stx)

Fotos: Internet (Fotograf unbekannt), Depeche Mode, James Hutchins/Facebook

Kommentare

  1. Und nicht zu vergessen, wieviele Kinder, ohne die Band, nie das Licht der Welt erblickt hätten. Meine zwei Mädels wissen das. Ohne Depeche Mode gäbe es sie nicht.

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