Momentmal Mori! "Don't Toy With My Heart..." - Thoughtless Thoughts zum aktuellen Album

Sie haben mich niemals wirklich enttäuscht. Seit meiner heiligen Fanwerdung im Frühjahr 1987 habe ich jede, ausnahmslos jede Veröffentlichung von Depeche Mode in mich aufgesogen, inhaliert, assimiliert. Jeder Ton jedes Albums sitzt tief in meinem Kopf, jeder Fieps kann genau an der richtigen Stelle mitgefiepst werden, jede einzelne Textzeile wurde hunderfach auswendig mitgesungen.

Dementsprechend hoch war dann die Hoffnung auf neuen Input für Herz und Hirn, nachdem uns schon relativ kurz nach Andys Tod die ersten Studiobilder in die Timeline flatterten. Erwartungshaltung galore sozusagen. 

Aber, dann! 

Dann kam "Memento Mori"...

Don't mess with my mind...

Drei Monate ist die Scheibe nun alt und ich tue mich immer noch mit so ziemlich allem schwer, was die Platte so hergibt. 

Allein der abgeklatschte Albumtitel, bei dem sie sich wirklich Mühe gaben, diesen lange genug zu verheimlichen und nicht auf Andy zu beziehen, verursacht mir bis heute akute Bauchschmerzen. Schon Dead Can Dance oder Barry Adamson, ja selbst Umbra Et Imago oder Feuerschwanz (sic!) haben diesen Titel schon für ihre Platten benutzt. Der antike Gladiatorenspruch wirkt so einfallsreich wie Schinkentoast mit Ananas. Und so wie der Titel, klingt dann leider auch das ganze Album. Ein schallplattegewordener Bandschleifenvorfall.

Ich habe es wirklich versucht! Obwohl ich es erst nicht wollte, habe ich vorab den Leak gehört. Oft. Sehr oft. Glich das Hören ausnahmslos jeder Depeche Mode Platte bisher einer Art Heiliger Messe, geht es bei "Memento Mori" seltsamerweise genau in die entgegengesetzte Richtung. Danach habe ich die Scheibe eine Weile liegen lassen. Depeche Mode Platten reifen mit der Zeit, heißt es. 

Nach einiger Zeit habe ich es dann erneut probiert, aber was uns die drei lustigen Zwei hier kredenzen, ist ein gleichförmig-mediokrer wie altmodisch-sumpfiger Endzeitschlager, dessen haptische Opulenz, des diesmal sogar gleich mehrfarbig aufgelegten Vinyls, arg über den eher gewöhnungsbedüftigen Inhalt hinwegtäuscht. 

Der hoffnungsvolle Opener "My Cosmos Is Mine", schön knarzig und sperrig und mit überraschendem Anti-Kriegs-Mantra in der Mitte, versandet am Ende in seinen eigenen Wiederholungsschleifen, um gleich danach in das ömmelig-sakrale Orgelgedudel von "Wagging Tongue" zu münden. Einen Song, von dem man meint, ihn schon tausendmal anderswo gehört zu haben, so konventionell wie das als "einzigartige Kooperation von Mart und Dave" angepriesene Werk daherkommt. Ob es nun nach "Time To Wonder", dem "Wort zum Sonntag", "Baba O'Riley" oder eher "Born On A Train" von den Magnetic Fields klingt, ein gruseliger Schauer durchfährt meinen Körper bei diesem kompositorischen Gemischtwarenladen und den unzähligen toten Engeln. Da nützt auch die nachgeschobene Vercoolungs-Session vom Vinegar Hill nix!

Den Vogel der kompletten Schlagerisierung des eigenen Vermächtnisses schoß schon vorneweg "Ghosts Again" ab. In discogefoxtem Dim-Dim-Geklimper werden die Geister des eigenen uralten Überhits nun erneut zum x-ten Male versucht zu reanimieren, dieses Mal sogar komplett im Plural. See you next time in der Helene Fischer Weihnachtsshow! 

Nachdem man sich dann noch durch das lyrische Yin und Yang des etwas opulenter orchestrierten, aber enorm schmalzigen Schmachtfetzens "Don't Say You Love Me" dahingeschleppt hat, bekommt man bei "My Favourite Stranger" eine furztrockene Bassline serviert, die man wohl irgendwie genauso auch schon von etlichen früheren 80er-Jahre Hits kennt. Abzählreim-Alarm der Marke "Enjoy The Puppetshow" - "dance the ghost with me"!

Als kurzer Hoffnungsschimmer folgt "Soul With Me", wohltuend sarkastisch im Text, und im symphonischen Stile von "Pet Sounds", kredenz uns Martin hier eine Sangesleistung der Extraklasse, singt er doch auch alle sechs Refrainzeilen jeweils komplett anders. Gibt er uns mit diesem dicken Beach Boys Verweis vielleicht sogar unbewusst einen heimlichen Hinweis auf das eine oder andere Produktionsgeheimnis von "Memento Mori"? 

Erfrischend machen sich danach auch die Breaks in Carolines Monkey aus, dem diesmal wohl einzigen Drogensong der Platte. Ob er sich wirklich auf dieselbe Caroline aus "Pretty in Pink" von Martins Co-Schreiber Richard Butler bezieht, wissen nur die beiden. "This is it, thats the end of the joke", so hofft man. Sometimes!

Doch kurz danach beginnt sie wieder. Eine gähnende Langeweile, die weite Strecken des Albums ausmacht. "Before We Drown" klingt so erfrischend wie das eigene Ertrinken. Komplett referenziert kommt dann "People Are Good" daher. Martin macht dieses Mal gleich selbst den Alan und schafft mit diesem unüberhörbaren Megaklau am Transeuropaexpress eines der raren Highlights.

Dann wirds richtig haarig. "Always You" wird im wörtlichen Sinne so oft mantraartig wiederholt, dass sie wahrscheinlich, ohne nachzählen zu müssen, sofort als die beiden am meisten verwendeten Worte im lyrischen Kanon der Band ausgemacht werden könnten. Der auf dem ganzen Album ganz stark vertretene und endlos nervige Pitsche-Patsche-Sound, wird dann bei "Never Let Me Go" gleich nochmal auf ein ganz neues Level gehoben. Ein Sound, wie wenn man sich die ganze Zeit auf den nackten Bauch klatscht. "The angels will praise us...". Nur nicht dafür, Jungs!

Das als ultimativer Abschied konzipierte "Speak To Me" lag wahrscheinlich schon seit den ersten Skizzen von "Paper Monsters" und Daves unweigerlich dazugehörigen "ich war ja schon mal tot"-Interviews in irgendeinem Leichenschauhaus rum, wurde aber passend zum Thema "Memento Mori" exhumiert und gleich mal mit alibimäßigen drei Co-Autoren aufgehübscht. Da nützt auch der raffinierte Herzschlag an Ende nix, der Text geht maximal als Selbstbeweinung durch. Danach hat man es endlich überstanden...

"Memento Mori" klingt über weite Strecken, als hätte man einer künstlichen Intelligenz angewiesen, eine komplett von kinky Bastards, Schmutz und Widerhaken befreite Depeche Mode Platte zu basteln. Steril und blass wie ein Chirurgenkittel. Der Rest zitiert leider nicht nur sich selbst. Und das sehr ausführlich. Depeche Mode begeben sich hinab auf das Niveau ihrer Coverbands und Eiferer. "So we were the Pop-Kids... ", dimdimdim dimdimdim... Depeche Mittelmaß quasi.

Hätte Martin seine originalen Beißerchen nicht schon vor Jahren gegen neue, blendend weiße eingetauscht, die Band hat auf dieser Platte jeglichen Biss verloren. Dave färbt sich sogar nicht mal mehr die Haare. 

Dem ganzen die Krone setzt dazu die Pressemaschinerie auf, die meint, in "Memento Mori" das beste Depeche-Album des aktuellen Jahrtausends erkennen zu wollen. Entweder sind die schreibenden Prietzeln allesamt noch keine 30, oder sie haben sich die letzten 20 Jahre wohl immer mal wieder aufs Ohr gehauen. Also so richtig, meine ich.

Alle bekloppt geworden...

Grauenvoll garstig auch das mittlerweile stark angegraute Livepublikum. Augenscheinlich erwachsene Mitbürger/innen, die mit ihren Ü50 vorm anstehenden Konzert vermeintlich wochenlang nicht schlafen können, um dann ein selbstgemaltes, dazu noch gerahmtes Bild mit zum Konzert schleppen, und sich dann zu wundern, dass man dies gar nicht durch den Einlass bekommt. Ich liebe das Internet! 

Es entbrennen unentwegt sozialmediale Diskussionen, als wären diese Menschen noch nie in ihrem Leben auf einem Livekonzert gewesen, und am Ende sind sie sogar zu blöd, um in Leipzig die drei restlichen, nahezu menschenleeren Eingänge zu finden. Man munkelt, die Anstellschlange wäre bis Lindenau ans Kaufland gegangen.

Dazu kursieren weltweit Wunschsetlisten mit dem ältesten Kram der Band und der nie enden wollenden Hoffnung, dieser uralte Kram möge dann doch irgendwie gespielt werden. "Strangelove" und "Master And Servant" hatten wir doch gerade erst! Na klar, 2009. Danach noch so einiges. Das ewige, strunzdämliche "Just Can't Get Enough" reicht euch wohl nicht, ihr Birnen? Jetzt, wo er euch sogar noch den Freddie Mercury dazu macht?

Die Krönung ist dann noch Daves ständige Geburstagsständchen-Jukebox. Nehmt diesen Typen bitte unbedingt die Zettel weg, wenn ihr sie seht! Und wenn diese vermaledeite Zettelwirtschaft jetzt mit Händchenhalten am Touchdave weitergeht, dann Goodnight Lovers.

Nur reden will ich Dolche, keine brauchen... 

Unter diesen Umständen könnte man sich den Abschied jetzt ehrlich leicht machen, den ganzen Krempel hinschmeißen, den Fanclub ein für alle mal zuschließen, wäre das Vermächtnis der Jungs und der Rest eines jeden Konzertes nicht so geil wie eh und je. Und das nicht nur wegen "Sister Of Night" in der erstmals von Dave gesungenen Version.

An "Memento Mori" kann ich gegenwärtig einzig der Inszenierung von Andy als Schädel auf dem Tisch auf dem Cover etwas Rafinesse und Charme abgewinnen. Lehnt es sich doch relativ stark an ein relativ bekanntes Theaterstück namens "Hamlet" an.

So handelt Hamlets Rede über den Schädel "Yorrick" von einem Freund aus Kindertagen, der verstorben ist. Sei er doch "ein Bursche von unendlichem Humor" gewesen, "voll von den herrlichsten Einfällen", "seine Schwänke von Lustigkeit, die eine ganze Tafel zum lachen brachten" und auch wurde Hamlet von ihm "tausenmal auf dem Rücken getragen". Vielleicht auch nackt, so wie Andy den Martin immer tragen musste? Wurde gerade deswegen "A Questions Of Lust" für die Show ausgewählt?

Ach Andy, sei froh, dass du dieses Drama nicht mehr miterleben musst! 

Jetzt bleibt es echt spannend, wie es bei den Jungs weitergeht, haben sie doch mit den "alten" Depeche Mode weitestgehend abgeschlossen. 

Zum Einen, mit der Komplettverwertung ihres Backkatalogs durch die 12"-Boxen, der MODE-Box, dem dicken Anton Corbijn Buch oder auch dem augenscheinlichen Fan-Dankeschön-Schwanengesang "Spirits In The Forest". 

Gibt es zum Anderen ab jetzt weiter Musik frisch von Martins de-facto-Ruhekissen mit ein paar Co-Autoren, und wird jetzt altersbedingt auch mehr Schlager? Wird Dave weiter zur Stange halten, oder lieber sein eigenes Ding machen? Wo er sich ja nicht mal mehr die Haare färbt! Fragen über Fragen...

Aber vielleicht stimmt es ja doch, und Depeche Mode Platten sind wie wirklich guter Wein? Fragt mich dazu am besten in einem Jahr nochmal. Bisher haben sie mich nämlich noch niemals wirklich enttäuscht!

#poeticalcorrectness #der_haf_kommentar #haf_kontrovers #boomer_haf #vielmeinungwenigahnung #senfdazu #firstworldproblems
 
Foto: Anton Corbijn
Videostill from "A QuestionOf Lust" by Clive Richardson

Kommentare

  1. Du kannst ganz schönen Schwachsinn verzapfen! Junge, Junge ...

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  2. Hätte ich das vor einem Jahr gelesen, wäre ich wohl bestimmt echt sauer auf dich gewesen (Reim dich oder ich fress dich! Ganz im Sinne von GA.). Hoffe aber du hast deine Meinung etwas überarbeitet. Wäre spannend zu hören, wie du nach 10 DM MM-Shows darüber denkst. LG

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