"Well I Know Five Years Is A Long Time..." - In fünf Jahren von Null auf Stadion

Was für eine bildhafte Matapher für eine Situation, die zum damaligen Zeitpunkt nicht schlechter hätte sein können? Der Hauptsongschreiber verlässt relativ geräuschlos die Band. Aus den vier Ecken werden drei, der stabile Rahmen ward zerbrochen. 

Martin muss überstürzt übernehmen, und Fletch erklärt Vinces Ausstieg nicht, ohne nochmal nachzutreten, was er doch für peinliches Zeug geschrieben hätte und man hätte seine Songs ja eh nie verstanden. 

Heute vor 40 Jahren erschien "A Broken Frame"


Betrachtet man nun nach dieser unglaublich langen Zeit diese Platte, sind da natürlich auch Songs drauf, die die Band wohl auch heutzutage wirklich nicht mehr spielen würde und die selbst Andy als peinlich empfände. 

Trotzdem erwarten uns auf „A Broken Frame“ durchaus ein paar satte Kaliber an Coolness. Besonders live wurde dies sichtbar. Ganz voran schreitet hier natürlich „My Secret Garden“, der schon relativ industriell kühl klingende Konzertauftakt.

Aber zurück auf Anfang. Den Auftakt nach Vince macht im frühen 1982 „See You“. Halb entschuldigend beteuert Martin, diesen Song bereits mit 17 geschrieben zu haben, obwohl er selbst doch gerade erst 20 war. Aus heutiger Sicht ein Witz, aber in diesem Alter war dies wohl schon ein recht beträchtlicher Unterschied. 

 
Das ihm der Sinn nach Tieferem stand, konnte man schon aus „Tora! Tora! Tora!“ heraushören, einem seiner zwei kompositorischen Beiträge zur „Speak & Spell“. Andererseits wollte man sich das frisch erarbeitete Teenagerpublikum nicht mit zu viel Deepness vergraulen, so dass die Wahl als erste After-Vince-Single auf „See You“ fiel. Es schloss an Vince Werk nahezu nahtlos an und ließ doch bereits Martins angehende Songschreiberbrillanz durchblicken. Pop as Pop 1982 can be. 

Wenn man will, kann man sogar aus dem hurtig verfassten Text der B-Seite „Now, This Is Fun“ eine Art Selbstbestärker und Mutmacher für Martin heraushören. 

 
Die Zwickmühle in der sich Depeche Mode jedoch befanden, macht die nächste Single deutlich. „The Meaning Of Love“ ist immer noch ein klassischer, wenn auch nicht ganz so treffsicherer Popper wie „See You“. Dazu hat der Song wohl etwas zuviel Zuckerguss über der ganzen anbiedernden Leichtigkeit abbekommen. 


Lyrisch fischt er zwar schon etwas in Martins späterem Lieblingsthema, nämlich die Liebe von allen Seiten, in allen Facetten beleuchten zu müssen, dafür deutet schon die sowohl ominös betitelte, als auch musikalisch äußerst mysteriöse B-Seite „Oberkorn (It’s A Small Town“)“ den weiteren Weg in die etwas dunklere Phase der Band an, bringt aber letztmalig aber die Auflösung des Mysteriums im Titel gleich mit. 

Dicke kam es dann mit „Leave In Silence“, was stilistisch die komplette Abkehr vom Plätscherpop bedeutete, und dies gleich mit komplett neuem Corporate-Design samt einer neuen Katalognummer für die Singles. Hier wird unübersehbar die Neuphase eingeleitet und entsprechend zur Schau gestellt. 

 
Dem Entdeckergeist der Band und ihrem elektronischen Umfeld geschuldet, wird die instrumental-experimentelle B-Seite „Excerpts From: My Secret Garden“ gleich mal so hergerichtet, dass sie sowohl in 33er als auch 45er Geschwindigkeit abzuspielen geht und sich dabei sogar stets recht passabel anhört. Mission BONG has started. 

Der größte Kritikpunkt an "A Broken Frame" ist aber seine unüberhörbare Ambivalenz, die es bis heute ausstrahlt. Es ist irgendwie weder Fisch noch Fleisch, enthält mit besagtem ersten BONG und den Songs „My Secret Garden“ und „The Sun And The Rainfall” einige der besten Kompositionen aus der Frühphase der Jungs, reißt dafür aber mit dem naiven „A Photograph Of You“ und dem arg leichtfüßigen „The Meaning Of Love“ gleichzeitig alles wieder ein. 

Das späteren Bestreben, Straßengeräusche zu sampeln und soundtechnisch zu verändern, kann man dann schon recht deutlich bei „Shouldn‘t Have Done That“ erahnen. Entfernt Pate stand hier möglicherweise das experimentelle „I Before E Except After C“ von Vinces damals rasch sehr erfolgreicher Band Yazoo, teilten sich die beiden Bands damals schließlich denselben Produzenten mit demselben Faible für Sounds und Studiotechnik. 

Dazu kann sich das Instrumental „Nothing To Fear“ nicht so recht entscheiden, ob es lieber ein tolles Instrumental oder lieber eine krachende Diskohymne sein möchte und wäre wahrscheinlich auf einer B-Seite besser aufgehoben gewesen. 

Genauso sind ein zerstörtes Denkmal, wie in „Monument“ oder der sprichwörtliche Hass-Satellit aus „Satellite“ nicht unbedingt gängige Metaphern für eine teenagerorientierte Pop-Platte. Das Ganze hätte also auch gehörig schief gehen können.     

Irgendwie kamen sie aber damit durch und stiegen innerhalb von nur 5 Jahren und 4 Alben in die Stadionliga des internationalen Rock’n’Rolls auf. 

„Strangelove“ war der Vorbote für das Album, dessen späterer Name bereits in die Auslaufrille der ersten Single eingraviert wurde. Damals ein Anflug von Selbstironie, später Motto einer ganzen Konzertreise - "Music For The Masses". Es war der Scherz, der sich bewahrheiten sollte. Nach der eher düsteren und konzeptionellen „Black Celebration“ wurde ein fett produzierender Produzent engagiert und der Disco-Modus gezündet. 

„Strangelove“ war gewohnt tanzbar, eroberte aber produktions- und soundtechnisch neue Sphären, bei dessen späterem Album-Mix noch die notwendige Coolness dazukam.


Schwerer verständlich war für uns die eindringliche B-Seite „Pimpf“, bei dem beinharte Fans bis heute schwören, die Jungs sängen lediglich 4 Minuten lang „Cold Beer“. 

Und da mittlerweile auch die Videos richtig cool waren, konnte die Reise im Sommer 1987 weiter gehen. Wer bis jetzt noch kein Fan war, wurde es spätestens dann.

„Never Let Me Down Again“ schepperte ab August durchs Radio und die meisten von uns dachten hier wirklich nur an eine nette Reise mit einem sauguten Kumpel. Beeindruckend! 


Da kurz danach das Album erschien, nahm in der ersten Zeit kaum einer Notiz von „Pleasure, Little Treasure“ als dazugehöriger B-Seite. Erst die ersten Kassettenkopien brachten uns den Song nahe und wir wollten kaum glauben, da eine waschechte Gitarre heraushören zu müssen. In der gesamten Aufregung um die Platte verschwamm dies etwas, gab es doch auf der Langrille auch ohne die ganzen Bonustracks schon genug fettes Zeug zu entdecken. 

Etwas schwerer machten es uns die Jungs dann leider wieder mit der Singleversion von "Behind The Wheel", deren stoisch-coole Albumversion gegen einen eher mauen Remix im Stile amerikanischer Diskohits ausgetauscht wurde. 

Auch die B-Seite, eine Coverversion des 40er-Jahre Hits "Route 66", der bereits von zahlreichen anderen namhaften Künstlern aufgenommen wurde, nimmt glasklar den amerikanischen Markt ins Visier. 

Für den europäischen Markt wurde dann im Frühjahr 1988 noch die Single des outstanding Tracks "Little 15" nachgeschoben. Das dräuende Lamento einer Mutter, die die Welt gern nochmal durch die Augen ihres 15-jährigen Kindes sehen würde. 

Die schwarze Scheibe umgedreht, brachten uns die Jungs neben dem stilsicheren und wunderschönen Instrumental "Stjarna" mit Beethovens "Mondscheinsonate" sogar noch die klassische Musik nahe. Als Depeche Mode Fan musste man damals ganz schön die Gefühle wechseln...

Aus 35-jähriger Distanz betrachtet, wurde der endgültige Erfolg in USA mit einer derart fett klingenden Platte wie "Music For The Masses" ja geradezu herbeiproduziert, und das nicht nur, weil der Sound, besonders der des Schlagzeugs, aus allerlei in den USA erfolgreichen Scheiben zusammengesampled wurde. 

 
Streicher, Chöre, Bässe, Disko und dazu noch etwas Schlüpfriges in Text oder Sound oder wahlweise beides, wie in „Behind The Wheel“ oder dem sich direkt anschließenden “I Want You Now“. 

„Nothing“ als potenzielle Anbiederung an frisch aufkeimenden House, „Sacred“ an die anglikanische Kirche. „The Things You Said“ als bis heute einen der besten Depeche Mode Songs überhaupt. Hier konnte wirklich nichts schiefgehen. Stylish, geschlossen, tanzbar ...

Um dem Ganzen amerikanischen Erfolg noch die Krone aufzusetzen, wurde im 1988 "Strangelove" sogar ein zweites Mal als Single veröffentlicht. Grund dafür war, dass am MTV Music Award nur Songs teilnehmen durften, die auch im selben Jahr veröffentlicht wurden. 

Und so feiern wir an diesen beiden aufeinanderfolgenden Tagen im September 2022 sowohl den 40. als auch den 35. Geburtstag dieser beiden Scheiben. 

Geburt und Aufstieg von Legenden. Die Geschichte nach der "Masses" haben wir zum Glück alle größtenteils live genießen dürfen, aber diese beiden Platten haben uns über Jahre begleitet, bestärkt und geformt. Wahrscheinlich hatten sie mehr Einfluss auf uns, als dies unsere Eltern je konnten, auch wenn die Originaltonträger damals für uns unerreichbar waren. 

Ich hatte das Glück, die "Music For The Masses" für mein gesamtes allererstes Monatsgehalt meines Lehrlingsgeldes von einem Mitschüler abkaufen zu dürfen, natürlich in blau. Die "A Broken Frame" war dann eine der ersten Mitbringsel vom Begrüßungsgeld. 

Der begeisternden "Black Celebration" haben wir uns auch bereits an ihrem letztjährigen Geburstag angenommen. Den Beitrag findet ihr hier: dmfc-haf.blogspot.com/2021/03/35-jahre-black-celebration. Die anderen beiden Platten dazwischen folgen sicher auch noch an ihren jeweiligen Jubiläen. 

Was haben wir diese Platten geliebt? Natürlich können bis heute bei allen Songs noch textsicher mitsingen und wissen genau, wann welcher Pieps kommt oder Beat einsetzt. Es wird Zeit, diese Schätzchen mal wieder auszugraben…

(stx)

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