"Let's Have A Black Celebration..." - Wir feiern 35 Jahre dieses dunklen Meisterwerks

Rosen, Tulpen oder doch Mohn?


Aufgrund der Schärfentiefe erkennt man nicht auf Anhieb, welch rote Blumen das Cover dieses Albums zieren. Als erstes fällt einem eher das futuristische Hochhaus dieses streng durchdachten Plattencovers ins Auge. Vom Dach herunter wehen schwarze Flaggen, Trauerfahnen, oder doch die Insignien einer drohenden Diktatur?

Diese roten Blüten gehören höchstwahrscheinlich Tulpen. Gelten diese doch im angelsächsischen Raum als Symbol für tiefe Zuneigung, stehen aber auch für Entschlossenheit und Tatkraft. Sie bilden den optimistischen Kontrapunkt zur drohenden Postmoderne des Hochhauses. Mohn wäre hier möglicherweise noch passender.

Dieses Cover begräbt Vergangenheit, verheißt Liebe und symbolisiert gleichzeitig den Aufbruch in das "Life in the so-called space-age", dem ergänzende Subtext auf der Rückseite. Noch bevor die Fans einen Ton des Albums zu hören bekamen, wurde "Stripped" als Vorabsingle veröffentlicht. 

„Stripped“ war anders. Auch wenn die Charts damals noch recht abwechslungsreich sein durften und zwischen deutschem Schlager, belanglosem italienischen Popgeplätscher oder Amerikana-Rock oszillierten, traten die bisherigen britischen Popgiganten wie OMD, Spandau Ballet oder Duran Duran musikalisch auf der Stelle. Depeche Mode gingen den entscheidenden Schritt weiter.

Um welch komplexen Song es sich handelt, zeigt sich unter anderem darin, dass es von "Stripped" nur eine einzige weitere Maxiversion gibt. Dies war gleichzeitig die erste, bei der die Jungs nicht mehr selbst an den Reglern gesessen haben. Diesen Job hat der uns später noch viel bewusster werdende Flood übernommen.

Konnten die Fans mit Zugang zu Westplatten bereits durch die B-Seite von "It's Called A Heart" erahnen, in welche Sound- und Themenwelten die Reise gehen würde, wurden wir hinter dem Eisernen Vorhang von "Stripped" ziemlich überrascht.

Den dunklen Reigen der Langspielplatte eröffnet aber zunächst erstmal kein geringerer als Winston Churchill mit einem Zitat aus seiner Rede zur Kapitulation des Deutsches Reiches, gefolgt von der Erkenntnis, das am Ende eines hoffnungslosen Tages schon der nächste schwarze Tag auf einen wartet.

Danach oszilliert das Album um die Facetten des Lebens, um die Pole Liebe und Tod. Im richtungsweisenden und groovigen "Fly On The Windscreen" versucht man, dem allgegenwärtigen Tod durch körperliche Zuwendungen zu entfliehen. 


In "A Question Of Lust" beschwört Martin die Liebe. Es bleibt allerdings ungewiss, ob diese wirklich einem Menschen gilt, oder vielleicht doch eher diversen stimulierenden Substanzen. 

Daher könnten möglicherweise die Selbstzweifel rühren, die er im Anschluss in "Sometimes" besingt. In diesem Kontext ist es zunehmend wichtig, im folgenden "It Doesn't Matter Two" über seine Hoffnungen und Ängste zu sprechen. Kürzlich übrigens ausgezeichnet interpretiert von einigen Stars der aktuellen Metalszene.

 
Das ist umso erstaunlicher, da Depeche Mode wohl eine der verhasstesten Bands unter den Metalfans der 80er Jahre waren, und wir dies damals bei jedem Diskobesuch neu zu spüren bekamen. So ändern sich die Zeiten!


Zeiten, die in "A Question Of Time" besungen werden. Wenn man sich zu früh mit den falschen Leuten einlässt, kann es passieren, dass einem am Ende die eigene Zeit davon läuft. Der erste pure Rock'n'Roll-Song im Depeche-Ouvre.

Nach einer perfekt getimeten Pause folgt "Stripped", was das Thema des Albumcovers nochmal aufgreift - drohende Urbanisierung und die Abkehr von der Natur. Als Ostteenager liebten wir diese düstere, schleppende, episch-morbide Musik, die uns gerade auch deswegen beeindruckte, da im Video zu "Stripped" genussvoll waschechte Ostautos zerdeppert wurden. Und auch, wenn "Stripped" nicht der tanzbartste Song ist, sich irgendwie dazu zu bewegen ging immer. 

Unser hormonell desorientiertes Teenagerherz wollte sowieso immer glauben, dass sie von nackten Menschen singen, auch wenn uns das "down to the bone" dabei etwas irritierte. Das textliche Bekenntnis zur Blöße, im Sinne von persönlicher Unabhängigkeit und Konsumentsagung, erschloss sich uns erst später.

Das folgende "Here Is The House" ist die lyrische Verkörperung menschlicher Intimität und ein perfektes Beispiel eines Popsongs aus der Feder von Martin Gore. Die zärtlichen Knospen von erster jugendlicher Liebe in der "World Full Of Nothing" münden in "Dressed In Black", einen dunklen Walzer über das Leben und seine schwarz gekleideten Schattenseiten.

"New Dress" ganz am Ende, ist eine raue Abrechnung mit der Oberflächlichkeit und Sensationslüsternheit heutiger Medien, mit dem Fazit, dass man zwar diese Welt nicht ändern kann, aber gut und gern sich selbst!

Oft wird bemängelt, dass"But Not Tonight" nicht auf der Platte landete. Depeche Mode hatten eine ziemlich klare Vorstellung, wie die Platte klingen sollte, da passte das eher fröhliche, auf einer Dur-Komposition beruhende "Bot Not Tonight" nicht hinein. Erschwerend kommt hinzu, dass es in diesem Lied wohl auch um Entzug geht.

Offensichtlich durften wir von der "Black Celebration" mehr über das Leben lernen, als in vielen Jahren Religion, Ethik oder Staatsbürgerkunde. Selbst unseren Eltern ist es nicht gelungen, uns derart auf die Welt vorzubereiten.

Depeche Mode erfinden sich mit der "Black Celebration" neu, und zufällig wird "Black Celebration" auch das Album, mit dem wahrscheinlich die Meisten ihre heilige Fanwerdung vollzogen haben. Ein Fansein, dass bis heute anhält und dazu führt, das wir uns in Blogs und Fangruppen gegenseitig die Welt erklären.

Am Ende des Jahres 1986 standen die Zeichen auf Live-Album. Von der "A Black Celebration"-Tour gibt es gleich 4 komplette Videomitschnitte. Neben Birmingham, wo auch die Liveaufnahmen für die "A Question Of Time" Maxi gemacht wurden, kann man auch London, Stuttgart und Hamburg als professionell montierten Film genießen.

Leider wurde dem höheren Prestigefaktor eines riesigen Konzertes in einem halb verrotteten Super-Bowl-Stadion im sonnigen Westen der USA dann doch der Vorzug gegeben. Da die Pro-Cuts aber alle den Schnittstil von "A World We Live In And Live In Hamburg" aufgreifen, wollten sich Depeche Mode vielleicht auch nur nicht wiederholen.


"Black Celebration" trägt das letzte Plattencover, was Brian Griffin fotografiert hat. Wer sich den edlen, jedoch seitenverkehrten schwarz/weiß-Fotoprint mit persönlicher Widmung ins Musikzimmer hängen möchte, kann dies immer noch direkt beim Künstler selbst bestellen: Brian Griffin "BC" b&w

Mit "Black Celebration" wurden Depeche Mode endlich von der Hit-Single-Band zur ernst zu nehmenden Albumband, mit einem abgespeckteren, durchdachteren, aber auch weitaus bösartigeren Sound als das turmhoch aufgeschichtete Blechplattengeschepper zuvor.

Ein Album, dass uns damals als Teenager emotional komplett abgeholt hat, und bei dem jeder einzelne Song bis heute nachhaltig beeindruckt. Ein kompexes, ja schon nahezu opernhaftes Meisterwerk, an dessen thematische und musikalische in-sich-Geschlossenheit später höchstens noch "Sounds Of The Universe" heranreicht, wie Andy einst anmerkte.

Die verwobenen Songübergänge virtuos von den Beatles abgeschaut, blitzt zwischen den ganzen Tod-, Tristesse- und Teenage-Angst-Themen auch ein riesengroßer Funken Hoffnung durch.

Keine "Schwarze Messe" im religiösen Sinne, sondern ein Abbild des neoliberalen Thatcher-Großbritanniens Mitte der 80er. Wahlweise natürlich auch der langsam untergehenden DDR unserer Jugend, mit unserem Wunsch, das alles vergessen zu können, was wir eh nicht hätten tun dürfen. 
"I'll drink to that!" ...

(stx)

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