"You Hear Stories Of Old ...", Teil 3 - Die nahezu unbeschreibliche Coverband "Milwaukee Mode"
Dank ausreichend popkultureller Bildung, wissen wir aus
den kundigen Worten eines Alice Cooper, dass der Name "Milwaukee" vom
indianischen Wort Mahnawahkee abstammt, was soviel wie
"schöner Platz am Fluss" bedeutet und dort sogar ganze drei
sozialistische Bürgermeister gewählt wurden.
Unsere heutige "Stories Of Old"-Legende: "Milwaukee Mode"
Bei einem Besuch der Stadt am Michigansee und den Flüssen Menomonee und Kinnickinnic im Jahre 1956, wurde der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Andenauer mittels klassischem First-Nations-Kopfschmuck flugs zum Ehren-Stammesoberhaupt gekrönt, waren doch damals über die Hälfte der Einwohner der Stadt und des gesamten Bundestaates Wisconsin deutscher Abstammung.
Häuptling Adenauer raucht am 15. Juni 1956 in Milwaukee die Friedenspfeife (Quelle: picture-alliance/dpa)
Die Zeitung "Die Welt" wusste zum 40-jährigen Jubiläum dieses Ereignisses zu berichten: "Es gab 36 verschiedene deutschsprachige Zeitungen, in Schulen wurde nur Deutsch gesprochen, und Brauereien und andere einträgliche Geschäfte schossen allerorten aus dem Boden. Das Pabst-Theater, erbaut vom deutschen Bierbrauer Frederick Pabst, galt als Kulturtempel und war weit über die Grenzen Wisconsins hinaus bekannt. Auch sonst florierte die deutsche Kultur. Ehrfürchtig sprachen die Amerikaner von Milwaukee als dem "deutschen Athen".
In den Worten von Depeche-Dompteur und Mode-Mentor Daniel Miller, galten Depeche Mode international einst als "größte 'deutsche' Band". Ein Umstand, der die Nähe der Stadt und ein paar ihrer Bewohner zur Band Depeche Mode versuchen könnte, zu erklären. Leider wurde auch ein Jeffrey Dahmer in Milwaukee geboren.
Eine Band, die aus mehreren dieser Zutaten zusammengebraut worden sein muss, ist "Milwaukee Mode".
Die Band bestand aus Anthony Lawrence an den Keyboards und Perry Coloroso am Mikrofon. Die Jungs singen und spielen sich live und wahrhaftig einen Wolf. Ihre größtenteils sehr eigenwilligen Interpretationen bewegen sich musikalisch wie soundtechnisch stark in der Nähe der Improvisation. Den individuellen Sangesstil von Perry könnte man getrost als dissonant bezeichnen. Wer schon mal in einer Bar beim Karaoke zugeschaut hat, weiß, was ich meine.
Nun ist genau das das Faszinierende an "Milwaukee Mode", erinnern sie doch eher an Karaoke, als an eine richtige Band. Nur wären sie nicht die legendären "Milwaukee Mode" wenn sie nur schlecht sängen, nein, auch gespielt wird hier herzhaft andersartig. Keyboarder Anthony klimpert mit diversen Nichtskills und drückt die Tasten mehr so in der Art eines Fletch.
Sänger Perry beim rumalbern, stilecht gekleidet in "Judas Priest"
Perrys
Ansagen sind so legendär, wie sein Bierkonsum.
Nach jedem Song wird ein ordentlicher Becher gekippt. Singen macht anscheinend sehr
durstig. Die langen Reden zwischen den Songs lassen Anthony bequem die Soundbänke nachladen. Das aufgeheizte Publikum
kann kurz verschnaufen. Wenn die Zeit nicht reicht, gibts halt noch ein Bier,
Cheers! Der Textsicherheit bekommt es nicht besonders.
Denn bei "Milwaukee Mode" herrschen konstant Anarchie und Alkohol! Und Stil haben sie, auch wenn man dies nicht auf Anhieb bemerkt und die Moves des Sängers eher etwas ungelenk daherkommen. So wie seine Shirts. Denen nach zu urteilen, scheint Perry sehr vom Metal inspiriert. Im Konzert fragt er das verdutzte Publikum auch schon mal nach Iron Maiden. Seine amateurhaft-lederne Rinde, die speckige Weste, der Bandname in Glitzertesa darauf getaped, mehr Punk geht nicht.
Bei ihren Auftritten hatten sie einen
extracoolen Mikrofonständer, zusammengelötet aus Kettengliedern. Die an
Rockmusik erinnernde Interpretation beweist, dass sie sich mit den
kompostorischen Ansätzen eines Martin Gore intensiv auseinandergesetzt
haben.
Dazu reichen sie allerhand Mitmachinstrumente in die ersten Reihen, sei es ein Tamburin oder gar ein Hula-Hoop-Reifen. "Never Let Me Down Again" und "People Are People" erhalten eine knackige Saxofonbegleitung. Das hat Chuzpe und blieb in dieser Form bisher ungehört.
"Milwaukee Mode" beim "Rock & Sole Festival 2016"
Sowas kann man schlecht finden, das wäre wohl sogar legitim. Es schießt jedoch am philosophischen Ansatz der Jungs meilenweit vorbei. Ihre Auswahl des mit den allergrößten Hits gespickten Sets, gepaart mit Fanlieblingen wie "Fly On The Windscreen" oder "Something To Do" zeugt von großer Leidenschaft und überzeugt auch etliche Zweifler.
Trotz der stark limitierten Produktion, ist die Performance stest sehr eigenständig. Neben den sehr individuellen und eigenwilligen Interpretationen, hat man definitv schon schlechtere Coverversionen von Depeche Mode gehört. Da kommen mir plötzliche schreckliche diskogefoxte Verballhornungen endloser deutscher Synthi-Bands in den Sinn. Und die haben sich für ihre schlageresken Coverversionen sicher nur halb soviel Abeit gemacht, wie unsere "Milwaukees" für ihre ruppigen, rauen Sounds.
So leben "Milwaukee Mode" die Attitüde des Punk. Jeder kann etwas. Jeder kann irgendwas! Und irgendwas ist immer noch besser als nichts! "Party On, Wayne!" möchte man ihnen zurufen.
Ist das vielleicht alles nur ein großer Spaß? Oder ist es gar die rotzfreche Parodie eines popperhassenden Metalheads?
Totalabriss in "Burkes Irish Castle" 2015
Was die Jungs genau zum Audruck bringen wollen, werden wir leider nicht mehr erfahren. Der Sänger unserer mittlerweile dritten "Stories Of Old"-Legende ist leider schon 2020 verstorben. Im Internet findet man eine öffentliche Kondolenzseite für ihn.
Selbst in strengen Depeche Mode Kreisen fühlte man sich damals berührt. So schreibt der szenebekannte DJ Niggels auf Facebook:
"Der Sänger der DM-Coverband Milwaukee Mode ist überraschend verstorben! So legendär schlecht bzw.schräg (je nach Sichtweise) die Auftritte mit Milwaukee Mode auch waren, und deswegen viral gingen, seine totale Leidenschaft für die Musik war aber immer voll erkennbar und echt. Und 47, kein Alter!!!
RIP Perry William Coloroso..."
"Nachruf auf Perry William Coloroso, 1972–2020, Milwaukee, Wisconsin
Perry William Coloroso aus Milwaukee, Wisconsin, verstarb unerwartet am 15. Januar 2020 im Alter von 47 Jahren. Ihm vorausgegangen sind seine Mutter Bonnie Rae Coloroso (Lovstad) und sein Vater William Perry Coloroso. Er hinterlässt seine Schwester Shay (Scott) Crawford, seine Nichten Malana und Halle Crawford sowie seinen Onkel Larrie Lovstad. Außerdem hinterlässt er mehrere liebevolle Cousins, Tanten und Onkel.
Perry wurde am 3. November 1972 in Denver, Colorado, geboren und wuchs in Savage, Minnesota, mit einer wunderbaren Gruppe von Kindern auf. Er liebte es, Filme zu drehen, Saxophon zu spielen und Kunst in verschiedenen Medien zu schaffen. Perry machte 1991 seinen Abschluss an der Burnsville Senior High School und studierte anschließend an der University of Wisconsin-Milwaukee, wo er 1999 seinen Bachelor-Abschluss erlangte. Als er sich der Phi Sigma Delta-Bruderschaft anschloss, fand er lebenslange Freundschaften und fungierte nach seinem Abschluss als Präsident und Vizepräsident der Alumni-Vereinigung der Bruderschaft.
Perry liebte Musik; als Erwachsener war er Gründungsmitglied von In Lak 'Ech – einer gemeinnützigen Organisation, die Instrumente an Kinder verteilt – und Leadsänger der Depeche Mode-Tribute-Band Milwaukee Mode, mit der er sich seinen Lebenstraum erfüllte und beim Summerfest spielte. Perry arbeitete 22 Jahre lang in der Bayshore Veterinary Clinic, wo er ein unverzichtbarer Teil des Teams war. Seine Kollegen liebten ihn ebenso wie die Tiere, die er betreute.
Perry war Organspender mit einer seltenen Blutgruppe. Er spendete heldenhaft sein Herz, seine Leber, seine Nieren und seine Bauchspeicheldrüse und rettete so mehrere Leben. Er wird noch viele Jahre in den Geehrten weiterleben. Perry war ein liebevoller, fürsorglicher, mitfühlender, äußerst lustiger und freigeistiger Mensch.
Die Trauerfeier findet am 2. Februar 2020 von 13 bis 17 Uhr in der Great Hall of Best Place der historischen Pabst-Brauerei, 901 W. Juneau Ave, Milwaukee, WI 53233, statt.
Anstelle von Blumen können Sie Spenden an Lak 'Ech Milwaukee unter www.inlakechmke.org senden, um die gemeinnützige Organisation zu unterstützen, die Perry mitbegründet hat. Um Bäume zum Gedenken an ihn zu pflanzen, besuchen Sie bitte den Sympathy Store.
Veröffentlicht im Milwaukee Journal Sentinel vom 25. bis 26. Januar 2020."
Perry war anscheinend ein sehr engagierter und extrem beliebter Mitbürger. Sein Lebenstraum war es, das örtliche Sommerfest zu bespielen. Möglicherweise war dies sogar der einzige Grund, warum "Milwaukee Mode" überhaupt exitierten.
Im Internet findet man fast ausschließlich Mitschnitte dieses
jährlichen Sommerfestes. Neben den wenigen anderen Filmschnipseln, gehen wir davon aus, dass die Band wirklich nur einmal jährlich und exklusiv für diesen Anlass zusammenfand. Wie geil ist das denn?
Die komplette teuflische Show beim "Sommerfest 2017"
"Milwaukee Mode" wissen möglicherweise gar nicht um die unheiligen Allianzen der
Geschichte ihrer Stadt. Wohl auch nicht um ihre eigenen Problemlagen. Sie gehen
einfach auf die Bühne und ziehen ihr Ding durch, auch wenn es uns beim Zusehen manchmal mehr schmerzt als freut.
Schade,
dass man zu den beiden Protagonisten nicht wirklich viele Informationen
findet. Genauso fällt es schwer, für diese Art der Interpretation
geeignete Worte zu finden, ohne ihnen Unrecht zu tun, oder sie zu sehr
in den Himmel zu heben.
Trotzdem, Hand aufs Herz! Wer hat noch nicht davon geträumt, genau wie Depeche Mode auf einer
Bühne zu stehen und den Mikrofonständer wild herumzuwirbeln, so wie Dave? Lasziv die Hüften kreisen zu lassen, und dazu die Lederjacke in einer Art und Weise auszuziehen, dass es bei den Ladies leicht in der Leiste zieht?
Ja, das wäre cool. Und cool wäre das vorallem, wenn man das dann auch macht. Besser noch, wenn
man es auch kann. Aber vorallem, wenn man sich traut! Denn gerade wenn man es nicht kann, gehört genügend Mut
dazu, auf eine Bühne zu steigen und so hemmungslos loszuträllern.
Ein Sänger, der etwas minderbesonders gut singen
kann, stellt sich auf die Bühne und lebt seinen Traum. Er schert sich nicht um Konventionen oder Meinungen anderer. Er zieht es durch! Gemeinsam mit seinem Kumpel. Der baut den Soundtrack drumherum. Beide ein Haufen liebevoller und leidenschaftlicher Typen. Da können wir
uns alle eine Scheibe abschneiden von.
Nach einigen Jahren Funkstille, scheint nun zumindest Anthony sogar wieder als "Milwaukee Mode" unterwegs zu sein. Das Bild stammt vom Sommerfest 2024.
Ihre Auftritte waren weitaus ehrlicher, emotionaler und glaubwürdiger, als das, was wir auf nahezu jeder Depeche Mode Party der 90er erleben mussten, tanzend und wild gestikulierend in ihren weißen Jeans.
Selbst wenn sie halt mal neben dem Takt spielen oder den Text komplett
versemmeln, was kann es schöneres für einen Fan geben, als zu seiner
Lieblingsmusik richtig dolle und hemmungslos abzurocken? Auf der Bühne und auch davor.
Nichts ist daran kritikwürdig, oder gar Blasphemie, wie manche behaupten. Die beiden Jungs feierten das Leben und die Songs von Depeche Mode mit ordentlich Stimulanzien und Party bis zum Morgengrauen. Dafür haben sie nichts als unsere Hochachtung verdient!
(stx)
Für Hinweise, Rückfragen, Interviewanfragen, Autogrammwünsche oder Beitragsideen stehen wir euch gern unter dmfc.hopesandfears@gmail.com Rede und Antwort.
Fotos: Die Welt/dpa, Facebookprofile von Milwaukee Mode und Anthony Lawrence; Videos: YouTube
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